Buchbesprechungen
Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.
Rainer Mausfeld
Warum schweigen die Lämmer?
Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören
Westend
Erstausgabe 2021
Die Aushöhlung unserer Demokratie: Wie elitäre Gruppen mit Hilfe von Wahloligarchie und Indoktrination unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlage zerstören. Das ist das Thema des Buches von Rainer Mausfeld. Mausfeld war Professor an der Universität Kiel mit den Schwerpunkten Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung und Geschichte der Psychologie.
Anna Mayr
Die Elenden
Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht
Hanser Berlin 2020
208 Seiten, 20 Euro
Bitte eine Buchbesprechung … Nun liegt das Buch vor mir. Anmutung etwas klassisch. Der Titel erinnert an Victor Hugo, dessen Werk unter anderem als Musical „Les Misérables“ bekannt wurde. Die Autorin Anna Mayr, eine Journalistin der renommierten ZEIT, bekam durch ihre Eltern viel mit Arbeitslosigkeit und damit auch mit Hartz IV zu tun, hatte dabei aber das Glück, nie selbst als Erwachsene in Hartz IV zu landen. Ihre Eltern und Stipendien halfen ihr, rauszukommen und sich ihren Traum, Journalistin zu werden, verwirklichen zu können.
Ronen Steinke
Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich – Die neue Klassenjustiz
Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin / München
Erstausgabe 2022
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Dieser Grundsatz ist fundamental wichtig für unser Rechtsverständnis. Denn er spricht jedem Bürger die gleichen Rechte zu, sei er nun wohlhabend und gut situiert oder arbeitslos und mit nur wenig finanziellen Mitteln ausgestattet.
Dirk Neubauer
Rettet die Demokratie! Eine überfällige Streitschrift
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Erstausgabe 2021
Dieses Buch ist eine scharfsinnige Analyse unseres derzeitigen politischen Systems, außerdem ein Praxisbericht eines Bürgermeisters, der Pionierarbeit geleistet hat. Autor Dirk Neubauer, Bürgermeister der sächsischen Stadt Augustusburg, ist der Meinung, dass unser politisches System dringend geändert werden muss. Unsere Demokratie sei in Gefahr, wenn wir alles so weiterlaufen ließen. Die starren Hierarchien der politischen Systeme in Deutschland müssten radikal aufgebrochen werden. Auch schreckt Neubauer nicht davor zurück, die Rolle von Parteien zu hinterfragen.
Claudine Nierth
Die Demokratie braucht uns! Für eine Kultur des Miteinanders
Goldmann Verlag
Erstausgabe 2021
Die Autorin Claudine Nierth ist Mitbegründerin des Vereins „Mehr Demokratie“ und heute dessen Bundesvorstandssprecherin. Seit den 1980er Jahren setzt sie sich für Volksentscheide und Bürgerbeteiligung ein. Mit ihrem Buch „Die Demokratie braucht uns!“ liefert sie einen Appell dafür, die Demokratie so zu gestalten, dass mehr Beteiligung möglich ist. Sie ist der Meinung, dass eine Demokratie lebendig bleiben und sich ständig erneuern muss. Nierth berichtet dafür sehr anschaulich aus ihrem Leben: über Begegnungen mit Politiker/-innen, Teilnahmen an Parteitagen, ihre ersten Projekte zur Bürgerbeteiligung sowie die Durchführung des ersten Bürgerrats für den Bundestag 2021.
Julia Friedrichs
Working Class - Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können
Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München
Erstausgabe 2021
Julia Friedrichs begleitet in ihrem Buch, das teils Reportage ist und teils theoretische Überlegungen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage unseres Landes beinhaltet, verschiedene Menschen aus der „Working class“ – der arbeitenden Mittelschicht. Aus den Erfahrungen, die diese Menschen machen und gemacht haben, versucht Friedrichs Schlüsse zu ziehen. Was ist gerechte Arbeit und vor allem was ist der gerechte Lohn für diese Arbeit? Wie können wir mit der Arbeit, die wir verrichten, glücklich werden? Friedrichs lässt die Leser ganz nah ran an die Leben dieser Menschen. Und sie zeigt uns, was passiert, wenn eine Corona-Pandemie ins Leben dieser Menschen kommt.
Katja Bauer und Maria Fiedler
Die Methode AfD
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart
Erstausgabe 2021
„Wir werden sie jagen! Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!“ Dies ist die erste Aussage von Alexander Gauland nach der erfolgreichen Bundestagswahl 2017 und dem Einzug der rechtspopulistischen AfD in den deutschen Bundestag. Es kennzeichnet den Ton, den seine Partei, die Alternative für Deutschland anschlagen wird in ihrem Kampf mit dem politischen Gegner: Stören wird zum politischen Prinzip, Antihaltungen werden salonfähig. Es folgen reihenweise planmäßige Tabubrüche, deren Ziel es ist, das Land zu polarisieren. Diese Geschehnisse nehmen die beiden Journalistinnen Katja Bauer und Maria Fiedler zum Anlass, in ihrem aktuellen Buch Die Methode AfD die Alternative für Deutschland genauer zu betrachten, dabei in fünf Kapiteln den Kampf der Rechten im Parlament, auf der Straße, aber auch gegen sich selbst zu analysieren. Katja Bauer ist bekannt durch ihre Berichte und Kolumnen aus dem Bereich des Rechtspopulismus und -radikalismus in der „Stuttgarter Zeitung“. Maria Fiedler ist tätig für den „Tagesspiegel“ in Berlin.
Fritz Breithaupt
Kulturen der Empathie
Suhrkamp Verlag
Erstausgabe 2020
Fritz Breithaupt ist ein deutscher Literatur-, Kultur- und Kognitionswissenschaftler. Breithaupt betont, dass Empathie in den letzten Jahren zu einer der zentralsten Themen in den Kognitionswissenschaften geworden ist und beleuchtet im vorliegenden Buch Empathie von verschiedenen Seiten. Im weitesten Sinne soll der Begriff zunächst verstanden werden, als eine „Einfühlung oder das In-die-Haut-des-anderen-Schlüpfen.“ Relevant ist, dass wir Verständnis für uns und für andere Menschen haben, indem wir sie „in kleine gedankliche Erzählungen verwickeln“. „Weil alles und nichts ähnlich sein kann, kommt auch Empathie vielleicht nicht allein durch Ähnlichkeit zustande, sondern, so die These, durch gezielte Begrenzung von Ähnlichkeit.“
Akkurate und subjektive Empathie
Breithaupt differenziert zwischen akkurater und subjektiver Empathie. Akkurate Empathie bedeutet, den anderen vollständig und korrekt zu verstehen und mitzudenken, sich in den anderen hineinversetzen. Bei der subjektiven Empathie dagegen geht es um ein weit gefasstes Empathie-Spektrum, dabei ist von Bedeutung, sich als Beobachter die Empfindung des anderen vorzustellen. In dem vorliegenden Buch wird von subjektiver Empathie ausgegangene, die Breithaupt kurz „Empathie“ nennt.
Jeremias Thiel
Kein Pausenbrot Keine Kindheit Keine Chance
Piper (Piperback) Verlag
Erstausgabe 2020
Das Buch ,,Kein Pausenbrot Keine Kindheit Keine Chance´´ erzählt auf 224 Seiten die Geschichte des 19-jährigen Autors und Protagonisten Jeremias Thiel. Jeremias und sein Zwillingsbruder wachsen in einem Hartz IV-Viertel in Kaiserslautern in einer sozial benachteiligten Familie auf. Sein Zwillingsbruder und die Mutter leiden an ADHS, die Mutter zusätzlich an Glücksspielsucht. Jeremias Vater ist chronisch depressiv, beide Eltern langzeitarbeitslos. Irgendwann fällt das Familien-Management auf die Schultern von Jeremias. Mit 11 Jahren, als ihm seine Situation klar wird, und durch einen Vorfall, der das Fass zum Überlaufen bringt, beschließt Jeremias zum Jugendamt zu gehen und seine Familie zu verlassen. Von da an kommt Jeremias im SOS-Kinderdorf unter. Schulisch schaffte er es nach der Gesamtschule auf das internationale Robert-Bosch-College in Freiburg mit Internat. Heute studiert er mit einem Vollstipendium Umwelt-Wissenschaften und Politik-Wissenschaften in den USA. Durch seinen Werdegang hindurch erzählt Jeremias von Kinderarmut aus eigenen Erfahrungen. Er berichtet authentisch von Chancenungleichheit und Verarmung, von Schwierigkeiten, die er zu bewältigen hatte und von Vorurteilen, die ihm begegneten. Er erzählt auch von der Geschichte seiner Eltern und der seines Bruders. Er schreibt stellvertretend für Millionen armer Kinder und Menschen in Deutschland. Er schreibt aber auch von Hoffnung und positiven Erfahrungen, von Menschen, die ihm die Hand reichten und ihn unterstützten, die ihm als Vorbilder dienen und für ihn da waren.
Roland Mierzwa
Armut und die Corona Krise. Die „Vorrangige Option für die Armen“ neu überdacht
Tectum Verlag, Baden-Baden
Erstausgabe 2020
Roland Mierzwa ist Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes und Diakonischer Bruder der Ev.-Luth. Diakoniegemeinschaft zu Flensburg (Kaiserswerther Verband) und ist in der Bahnhofsmission tätig. Zu Beginn zitiert der Autor den Spiegel: Durch die Corona-Krise gehe die Kluft zwischen Armen und Reichen noch deutlicher auseinander. Die sozial Benachteiligten tragen eine große Wut in ihrem Herzen und es muss etwas getan werden, um diesen Konflikt zu entschärfen, so der Autor.
Im Folgenden beleuchtet Mierzwa die Situation verschieden prekär lebender Gruppen genauer.
Hartz IV
Bei Thema Hartz IV fällt auf, so Mierzwa, dass die Betroffenen nicht in Würde leben können, sie können sich weder gesund ernähren noch ordentlich kleiden. „Das ist gewollt, damit diese Hartz IV Armut im Interesse der Herrschenden, Reichen und Einflussreichen als Drohkulisse, Druckmittel bzw. Disziplinierungsinstrument abschreckend auf die übrige Gesellschaftsmitglieder wirken kann, um deren Verhalten dadurch ‚positiv‘ in Sinne größerer Systemkonformität zu beeinflussen“. Über Hartz IV würden Abstiegsängste erzeugt, nicht mehr dazuzugehören, nicht mehr nützlich und wirtschaftlich zu sein, vorgeworfen zu bekommen ein „Sozialschmarotzer“ zu sein. Armut erzeugt demokratische Lethargie, so der Autor, durch die Prekarisierung manifestiert sich das Herrschaftssystem des Kapitals. Mierzwa verweist auf Pierre Bourdieu, ihm zufolge löst dies bei den (noch) nicht von Prekarität betroffenen Schichten Furcht aus, die im Kontext von „Prekarisierungsstrategien“ ausgenutzt wird. „Man wird den Verdacht nicht los, dass Prekarität gar nicht das Produkt einer mit der ebenfalls vielzitieren `Globalisierung` gleichgesetzten ökonomischen Fatalität ist, sondern mehr das Produkt eines politischen Willens […]“
Roland Mierzwa
Eine comprehensive Ethik. Eine Ethik aus der Corona-Zeit für die Post Corona-Zeit
Lit Verlag Dr. W. Hopf/Berlin
Erstausgabe: 2020
Das Buch „Eine comprehensive Ethik. Eine Ethik aus der Corona-Zeit für die Post Corona-Zeit“ von Roland Mierzwa ist eine Reaktion auf die derzeitige Situation. Der Autor Roland Mierzwa ist Diakonischer Bruder der Ev.-Luth. Diakoniegemeinschaft zu Flensburg (Kaiserswerther Verband). Darüber hinaus ist er in der Bahnhofsmission und freiberuflich wissenschaftlich tätig. Am Anfang postuliert Miertzwa, dass in der Corona-Krise ethische Begriffe neu vermessen werden und eine „ethische Tiefenschärfe“ deutlich werde. Der empathische Blick, so Mierzwa, nimmt viel stärker die „Verwundbarkeit“ und die „Verletzlichkeit“ wahr, ergänzt wird das durch eine Praxis der Anerkennung. Durch den Vorgang der Anerkennung wird dem Autor zufolge eine ethische Bewegung in Gang gesetzt, dieser Anerkennungsvorgang ist nicht selbstverständlich, deutlich zu erkennen an Umgang mit Flüchtlingen. Die Bahnhofsmissionen sind ein Ort der Barmherzigkeit und des Mitgefühls; sie basieren auf Spenden. Zwar sind die Spende durch den „Shutdown“ zurückgegangen, eine wertvolle Ergänzung ist hier das Corona-Sofortprogramm der Deutschen Bahn Stiftung gGmbH in Höhe von 100.000€ betont der Autor. Dies ist ein besonders gute Beispiel die der Autor nennt, wie durch Außenstehende den „Bedürftigen“ geholfen werden kann.
In der „Corona-Krise“ sind bestimmte ethische Fragestellungen entstanden und besonders aufgefallen so der Autor. Er führt dazu mehrere Themen. Eines davon ist die häusliche Gewalt. Während des Lockdowns nahmen die Anrufe bei der Hotline in Singapur, Zypern und Argentinien um 30 Prozent zu. Für Länder wie USA und Italien verzeichnete Terre des Femmes dem Autor zufolge ebenfalls eine Erhöhung. Eine Woche vor Ostern 2020, gingen in Berlin 332 Notrufe wegen häuslicher Gewalt ein, die doppelte Anzahl im Vergleich zum Vorjahr.
Cornelia Koppetsch
Die Gesellschaft des Zorns
transcript Verlag, Bielefeld
Erstausgabe: 2019
In diesem Buch geht es darum, den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, Bewegungen und Strömungen zu erklären und zu erforschen.
Wichtig sind hierbei vor allem die Konsequenzen der Globalisierung, wie z.B. Flüchtlingsströme, die Verödung ländlichen Raums, Arbeitsplatzverluste: eine „Transformation“ der Gesellschaft, vor allem im Osten Deutschlands.
Diese Veränderungen führen laut Koppetsch zu Gefühlen und Tendenzen der Benachteiligung und schüren Ressentiments gegen das bestehende politische System. Koppetsch skizziert das Bild einer Gesellschaft, oder zumindest Teile derselben, die sich in einem „kollektiven Kontrollverlust“ wähnt und sich deshalb die „gute alte“ Zeit zurückwünscht. Hinzu kommen Veränderungen innerhalb des Werteverständnisses von Gruppierungen, es werden anstelle von Gleichheit und Inklusion nun Werte wie exklusive Solidarität und Abschottung präferiert.
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt
Wie Demokratien sterben
Deutsche-Verlags-Anstalt
Erstausgabe Mai 2018
Die beiden US-Forscher Steven Levitsky und Daniel Ziblatt behaupten: „Die Zeit zwischen 1990 und 2015 dürfte das demokratischste Vierteljahrhundert der Geschichte gewesen sein, nicht zuletzt auch, weil die Westmächte sich zumeist für die Demokratie starkmachten“. Dennoch schreiben sie in ihrem Bestseller “Wie Demokratien sterben“ auch: „War die Vorstellung, dass die Demokratie sich weltweit auf dem Rückzug befindet, vor 2016 also weitgehend ein Mythos, könnte Trumps Präsidentschaft - zusammen mit der Krise der EU, dem Aufstieg Chinas und der zunehmenden Aggressivität Russlands - dazu beitragen, dass sie Realität wird“. Anhand der Analyse der politischen Machtübernahme und Machtausübung von Donald Trump in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch anhand zahlreicher Vergleichsbeispiele aus Lateinamerika und Europa beschäftigen sich die Autoren in neun Kapiteln ausführlich mit der Frage, wie und warum Demokratien sterben. Levitsky und Ziblatt, beide Professoren für Regierungslehre in Havard, stellen dabei die These auf, dass Demokratien heute nicht mehr mit Gewalt von außen abgeschafft werden, sondern ein Umbruch von innen heraus stattfindet. Auch sie sehen - wie viele andere - Donald Trump nicht als Auslöser der politischen Krise in Amerika, sondern lediglich als ein Symptom. Und doch wird deutlich, dass dieser Mann und seine Präsidentschaft eine gefährliche Herausforderung für die amerikanische Demokratie markiert und diesen möglichen Umbruch von innen heraus repräsentiert.
Aladin El-Mafaalani
Das Integrationsparadox – warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt
Kiepenheuer und Witsch, Köln
Erstausgabe: 2018
Das Thema dieses Buches ist, weit gefasst, unsere gesellschaftliche Situation, eng gefasst geht es um Integration, ihre Folgen und Grenzen. El-Mafaalani will in seinem Buch eine Neubewertung unserer gesellschaftlichen Situation aufzeigen: Wir sind auf dem Weg in eine offene Gesellschaft. Aber woran erkennt man dies? Zum Beispiel an den Diskussionen um Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, um sexuelle Orientierung, um religiöse Freiheit. Diesbezüglich hätten sich Teilhabechancen, verstanden als die Möglichkeit, berufliche und gesellschaftlich mehr teilzunehmen, wesentlich verbessert.
Anhand von Analysen des gesellschaftlichen Wandels arbeitet El-Mafaalani zwei zentrale Begriffe heraus: den der „Inneren Offenheit“ und den der „Äußeren Offenheit“. Innere Offenheit ist die Verschiebung von Grenzen innerhalb einer Gesellschaft, erkennbar an mehr Teilhabe und mehr Zugehörigkeit von Minderheiten. Äußere Offenheit beschreibt die Verschiebung von Grenzen zwischen Gesellschaften, also die Tatsache, dass Gesellschaften sich einander annähern und ähnlicher werden. Der Migrant als solches vereint die wichtigsten Eigenschaften der beiden Offenheiten, in ihm werden innere und äußere Offenheit eins: Migrant-/innen bedürfen der Integration und Inklusion (Innere Offenheit) gleichzeitig ist Migration Bestandteil des Prozesses der Annäherung von Gesellschaften – hier bezogen auf Großstädte bzw. Metropolen.
Bettina Kenter-Götte
Heart's Fear / Hartz 4
Verlag Neuer Weg
Erstausgabe: 01. 03. 2018
„Hartz 4“ – kaum ein Thema polarisiert mehr, als das berüchtigte Kürzel des vierten Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt. Für die einen ein gern gesehenes Gängelungsinstrument, das tolldreiste Arbeitsverweigerer wieder unter das gerechte Joch der freien Markt-wirtschaft beugen soll, ist die weitreichende arbeitsmarktpolitische Reform für andere nichts weniger als ein skandalöser Verstoß gegen das Grundgesetz. Und das Bemerkenswerteste dabei ist, dass der Großteil derer, die sich zu Wort melden, letztlich keinen blassen Schimmer von der Hartzer Lebenswirklichkeit haben, hatten sie doch nie das Pech hilfsbedürftig zu werden. Besonders ärgerlich ist das dann vor allem bei Befürwortern der Sozialreform. Informiert, oder treffender desinformiert, lediglich durch irreführende Schlagzeilen über Florida-Rolf und Mallorca-Karin, verzichten sie bereitwillig auf jegliche Empathie oder gar Sympathie und verteidigen das ROT/GRÜNE Machwerk inbrünstig mit Kampfbegriffen wie „Sozialschmarotzer“ und „Abstandsgebot“.
Christian Neuhäuser
Reichtum als moralisches Problem
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft
Erstausgabe: 11. 03. 2018
Dass man zu arm sein kann leuchtet ein – aber kann man auch zu reich sein? Dieser Frage widmet sich Dr. Christian Neuhäuser, Professor für praktische Philosophie an der TU Dortmund, in seinem jüngsten Werk. Frei von ideologischen oder parteipolitischen Vorurteilen erörtert er auf etwa 250 Seiten nicht nur, ob zu hoher Reichtum sich negativ auf das eigene Leben in Selbstachtung und Würde auswirken kann, sondern auch – und vor allem –, ob dieser dadurch in moralisch relevanter Weise mit den Interessen der weniger gut betuchten Mitbürger in Konflikt gerät. Hierzu entwickelt er einen eigenen Reichtumsbegriff und klärt, in wieweit die ungleiche Verteilung von Geldmitteln als allgemeine Gerechtigkeitsfrage verstanden werden kann.
William T. Vollmann
Arme Leute Reportagen
Edition Suhrkamp SV
Erstausgabe: 11. 06. 2018
„Armut“, ein Wort, das jeder kennt, viele regelmäßig gebrauchen, manche missbrauchen, letztlich aber nur wenige verstehen – zumindest derer, die in der Regel zum Thema befragt werden, also jene, die sich lediglich intellektuell und analytisch mit dem Problem befassen und versuchen Lösungen zu finden. Für William T. Vollmann, vielfach preisgekrönter Autor zahlreicher Romane, Erzählungsbände und Sachbücher, ist dieses Missverhältnis untragbar, und Grund genug die Welt zu bereisen und mit Betroffenen zu sprechen, mit dem schwierigen Ziel, dem abstrakten Armutsbegriff konkreten Gehalt zu verleihen und den Befragten, die den meisten Menschen nur als vage Statistik oder in Form eines gelegentlichen lästigen Aufbäumens des ansonsten trägen und abgestumpften Gewissens in den Sinn kommen, ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Das Ergebnis ist ein rund 320 Seiten umfassendes Sammelsurium persönlicher Armutserfahrungen und behutsamer Auseinandersetzung mit dem Thema, bei dem es der Autor bewusst unterlässt, sich auf den ansonsten von Kollegen so gern eingenommen professionellen Abstand zum „Forschungsgegenstand“ zurückzuziehen.
Michael Hartmann
Die Abgehobenen
Campus Verlag
Erstausgabe: 16.8.2018
Dr. Michael Hartmann, der 2013 im Kulturwerk der Neuen Arbeit einen Vortrag zum Thema „Was man gegen die Spaltung der Gesellschaft tun kann“ gehalten hat, liefert mit seinem neusten Buch eine gnadenlose und gründliche Analyse des schädlichen Einflusses der Eliten auf unsere Zivilgesellschaft. Dabei identifiziert er als Hauptursache für die allgemeine Politikverdrossenheit und das Erstarken des Rechtspopulismus die, von jenen Eliten bevorzugte und vorangetriebene, neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte. Dieser wirtschaftliche Wandel wurde zwar von der breiten Bevölkerung weitestgehend unterstützt oder zumindest toleriert, was jedoch zum Großteil diversen Mythen zu verdanken ist, die von der herrschenden Klasse in Umlauf gebracht wurden. Jene Mythen wissenschaftlich zu untersuchen und deren Fiktionscharakter zu entlarven, sieht Hartmann daher als wichtigen Teil seiner aufklärerischen Arbeit.
Ulrich Lilie
Unerhört!
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft
Erstausgabe: 17. 09. 2018
Menschen sind verschieden, das ist kein Geheimnis. Und verschiedene Ansichten und Interessen führen nicht selten zu Konflikten, auch das ist nichts Neues. Doch wo es Unterschiede gibt, gibt es in der Regel auch Gemeinsamkeiten, weswegen doch zumindest Hoffnung besteht: Was also haben Quartalquerulanten und Berufsbeleidigte unterschiedlichster sozialer Schichten, wütend vor sich hin pubertierende Vandalen ohne Perspektive, Männer in der Midlife-Crisis, Pensionäre mit Überfremdungsängsten und Rentner, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen am Ende vielleicht doch gemeinsam? Ein vages Gefühl der Entfremdung vielleicht? Schwelende Unzufriedenheit, weil erbrachter Lebensleistung von keiner Seite mehr aus die angemessene Würdigung und Anerkennung entgegengebracht wird? Oder vielleicht die dumpfe Gewissheit, dass jegliches Engagement, sei es beruflicher oder politischer Natur, am Ende ebenso effizient ist, wie der jährliche Frühjahrsputz mit einer Zahnbürste?
Wilhelm Heitmeyer
Autoritäre Versuchungen
Edition Suhrkamp Verlag
Erstausgabe: 22.10.2018
Als Folge der Bundestagswahlen 2017 ziehen in Gestalt der Alternative für Deutschland (AfD) – nach zweiundsechzig Jahren! – erstmals wieder Vertreter des autoritären Nationalradikalismus in den Bundestag ein. Vorausgegangen ist diesem verstörenden Ereignis eine Serie von politischen Erfolgen auf Landesebene, vor allem im Osten Deutschlands, im Zusammenspiel mit bundesweit zunehmend militanter werdenden Bürger- und Protestbewegungen, wie beispielsweise den Identitären (IB) oder PEGIDA.
Wilhelm Heitmeyer, bekannter deutscher Soziologe, Erziehungswissenschaftler und Autor zahlreicher Fachpublikationen, sagte diese Entwicklung bereits vor zwanzig Jahren Voraus und greift seine damaligen Thesen nun in seinem neusten Buch erneut auf, um auf deren Grundlage eine gründliche Analyse der vielfältigen und verschachtelten Prozesse, die auf unsere Gesellschaft eingewirkt und sie für autoritäre Versuchungen und radikale Ideologien anfällig gemacht haben, vorzunehmen.
Ulrich Bröckling
Gute Hirten führen sanft
Suhrkamp Verlag, Berlin
Erstausgabe: 2017
Bereits mit seinem Werk „Das unternehmerische Selbst“ hatte Bröckling die Bedeutung des Subjekts aufzeigen wollen, das sich am Markt orientiert und durch Wettbewerb und Wachstum getrieben wird. In diesem Buch nun versammelt der Autor Aufsätze zum Begriff der „Menschenregierungskünste“. Dieser Begriff steht inhaltlich zwischen der Lebensführung, also Techniken, um dieselbe zu verbessern oder erlernen, und dem Social Engineering – die Anstrengung zur Schaffung oder Verbesserung von gesellschaftlicher Strukturen.
Bröcklings Interesse an den Menschenregierungskünsten bezieht sich auf die Frage, wie man am besten regiert – also wie Menschen regiert werden und wie sie sich selbst regieren. Der Begriff des Regierens bedeutet nicht ausschließlich Regierungspraktiken des Staates, sondern Arten und Weisen der Lenkung von Menschen. Dieses Themenfeld soll aufgearbeitet werden, mit Fokus auf „sanfte“ Sozialtechnologien und Regierungstechniken, die in den Aufsätzen behandelt werden.
Jürgen Wiebicke
Zehn Regeln für Demokratie-Retter
Landeszentrale für politische Bildung
Erstausgabe: 2017
Einen Tag nach der Trump-Wahl fiel die Entscheidung für den Journalisten und Schriftsteller Jürgen Wiebicke, diesen Demokratie-Ratgeber zu schreiben. Ein Büchlein gegen den Rechtspopulismus, gegen die Krisen in der Demokratie, für mehr Zuversicht, mit vielen Anregungen zum eigenen Handeln. „Demokratie ist immer unfertig“, lautet sein Wahlspruch, „man kann und muss weiter an ihr arbeiten.“
Im Zuge der Globalisierung wird die Macht und die Machtausübung für den Menschen immer diffuser. Wir wissen oft nicht mehr, wer die Strippen zieht. Umso wichtiger ist es, sich als „Demokratie-Retter“ für die Gesellschaft einzusetzen. Dabei gilt es nach Wiebickes Einschätzung, zehn Regeln zu beachten.
Anthony B. Atkinson
Ungleichheit
Klett-Cota
Erstausgabe: 2016
Anthony B. Atkinson ist einer der führenden britischen Sozialökonomen gewesen. Atkinson war Autor und Herausgeber von zahlreichen Büchern und hat über 140 Aufsätze in den wichtigsten ökonomischen Zeitschriften publiziert.
Sein Buch „Ungleichheit – was wir dagegen tun können“ widmet sich den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sozialer Ungerechtigkeit. Er prangert nicht nur die Politik an, die den Wohlfahrtsstaat eingeschränkt hat, sondern auch die Wirtschaftsunternehmen, die zu hohe Managergehälter zahlen.
Er fordert, dass Wachstum und mehr Gleichheit in der Gesellschaft Hand in Hand gehen müssen. Die Firmen würden noch profitabler werden, wenn sie die Mitarbeiter besser bezahlen würden. Statt schlecht bezahlte Arbeit zu subventionieren, sollte der Staat die Sozialleistungen für Arbeitslose und Langzeitarbeitslose stärken.