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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Ulrich Bröckling

Gute Hirten führen sanft

Suhrkamp Verlag, Berlin
Erstausgabe: 2017

Auf dem Foto zu sehen: Buchcover von "Gute Hirten führen sanft" von Ulrich BröcklingBereits mit seinem Werk „Das unternehmerische Selbst“ hatte Bröckling die Bedeutung des Subjekts aufzeigen wollen, das sich am Markt orientiert und durch Wettbewerb und Wachstum getrieben wird. In diesem Buch nun versammelt der Autor Aufsätze zum Begriff der „Menschenregierungskünste“. Dieser Begriff steht inhaltlich zwischen der Lebensführung, also Techniken, um dieselbe zu verbessern oder erlernen, und dem Social Engineering – die Anstrengung zur Schaffung oder Verbesserung von gesellschaftlicher Strukturen.
Bröcklings Interesse an den Menschenregierungskünsten bezieht sich auf die Frage, wie man am besten regiert – also wie Menschen regiert werden und wie sie sich selbst regieren. Der Begriff des Regierens bedeutet nicht ausschließlich Regierungspraktiken des Staates, sondern Arten und Weisen der Lenkung von Menschen. Dieses Themenfeld soll aufgearbeitet werden, mit Fokus auf „sanfte“ Sozialtechnologien und Regierungstechniken, die in den Aufsätzen behandelt werden.
 

Der Titel des Buches wird im ersten Aufsatz thematisiert: Die Metapher des Hirten und seiner Herde ist ein Bildnis pastoraler Macht, aus der religiösen, genauer der christlichen Sphäre: der Hirte leitet seine Schafe, sorgt für sie, schützt sie vor Gefahren. Wie kam diese Metapher nun in die Sphäre des Politischen? Pastoralmacht wird bei Michel Foucault zunächst als eine Form von Macht definiert, der die Konzeption einer „Regierung der Seelen“ zugrunde liegt.
Relevant ist nun, dass der moderne Staat aus einer Verbindung von pastoralen und politischen Machttechniken entstanden ist – hier also die Bedeutung des Hirt-Herde-Bildnisses für die Politik. Die Entstehung der Polizei als Staatsgewalt trägt zum Selbstverständnis des politischen Subjekts bei – denn die Polizei vertritt den Staat und dessen Gesetze, schützt aber auch seine Bürger, die sich durchaus als Herde fühlen können.
Der pastorale Führer erlangt Macht über den ihm zugewandten Menschen, weil dieser sich ihm anvertraut. Das subjektive Befinden, die Wertung des eigenen Erlebens sind von den Worten des Pastors abhängig.  

Von der mythischen Figur Pan, dem Hüter des Naturganzen, geht der Begriff der „Panik“, aus. Diese tritt auf, wenn das Naturganze gestört wird und dann Unruhe sowie Verängstigung  entsteht.  Im Speziellen bedeutet Panik Unregierbarkeit, denn sie stört das Verhältnis zwischen Führer und Geführten, macht es also schwierig, die Herde sinnvoll zu leiten. Der Hirte, zuständig dafür, die Herde zu beruhigen, hat verschiedene Arten von Macht: Sie ist nicht auf ein festgelegtes Gebiet begrenzt, sondern auf die Herde als solches, sie bedeutet das (Ein-)Sammeln der Herde, sie ist eine sorgende und wohltätige Macht und sie ist individualisierend – es gilt gleichermaßen die Herde als Ganzes sowie jedes einzelne Schaf zu schützen und zu leiten.
Das Regieren selbst setzt sich ab von anderen Machtausübungsformen wie dem Herrschen, dem Kommandieren, dem Befehlen. Der (gute) Hirte ist das Gegenteil: Er ist der „Diener der ihm Anvertrauten“. Maßvolles Handeln, Abwägen und Überlegen ist für den Hirten wichtig und hat Priorität, denn seine Herde braucht Ruhe, um Weisungen empfangen zu können und Disziplin zu wahren. Zum Beispiel wenn die Herde nicht mehr den Weisungen des Hirten folgen kann – aus verschiedenen Gründen. Bröckling zeigt anhand der geschichtlichen Entwicklung der Regierungsformen den Übergang vom Herrschen zum Regieren ab.  
Der zweite Teil des Buches beginnt mit dem Begriff der Prävention. Als gesellschaftsrelevantes Handeln wirkt Prävention vorbeugend  - im Gegensatz zu Sozialtechniken wie dem Heilen oder Strafen, die eine Reaktion auf bereits Geschehenes sind. Prävention kann verstanden werden als Schema, um Zeit zu strukturieren, als Wissensform und als Handlungsmodus: Prognosen beeinflussen unsere Gegenwart, obwohl sie auf die Zukunft gerichtet sind, wir handeln anders, weil wir etwas verhindern oder vorbeugen wollen.  Bröckling ist einerseits gegen Prävention, wenn der Zweck die Mittel heiligt – wenn also alles getan werden soll, um etwas noch nicht Geschehenes zu verhindern. Jedoch müssen wir als Menschen präventiv handeln, mit Blick auf die Zukunft, um uns vorzubereiten und planen zu können. Das moderne Element der Prävention ist zum Beispiel zu finden in Statistiken, Wahrscheinlichkeitskalkülen und Risikoanalysen.
Die Definition von Risiko ist verbunden mit unserer Auffassung dessen, was als Norm gilt und natürlich auch mit dem, was davon abweicht. Es gilt das „precautionary principle“: Stets der pessimistischen Prognose Vorrang vor der optimistischen zu geben: „Wenn Technologien unabsehbare Gefahren oder Risiken bergen, dann sollte man auf sie verzichten und Verbote erlassen.“
Ein weiterer Begriff der Menschenregierungskünste ist die Resilienz, verstanden als Widerstandsfähigkeit oder Belastbarkeit. Ein resilientes System kann beispielsweise externe Störungen nicht beseitigen, verfügt aber über ein hohes Maß an Störungsverarbeitungskompetenz.  

Das zweite Kapitel enthält noch weitere Aufsätze zu Techniken der Selbst- und Fremdregierung. Als Verfahren der Konfliktbearbeitung werden Begriffe wie Mediation und Kontraktpädagogik erläutert. Ebenso Aufsätze zu Nudging (Verhaltenssteuerung durch Anreize), Feedback, Wettkampf und Wettbewerb, Planung, Menschenökonomie und Humankapital sowie Schlachtfeldforschung. Es geht um Praktiken, die darauf abzielen, menschliches Verhalten zu steuern.
Im dritten Teil des Buches stellt Bröckling die Frage nach einer Soziologie als (gesellschafts-)kritischer Wissenschaft und der Akt des Kritisierens  als solcher wird untersucht. Darauf folgt ein Kapitel über das Wesen der Kritik – und ihr Verhältnis zur Gesellschaft, welche sie ja zu verbessern sucht. Den Abschluss des Buches bildet eine Sammlung von Gedanken über Kreativität - wie sie wirkt, wie sie entsteht, warum wir sie brauchen. Bröckling zeigt also in diesem Buch, dass und welche Sozialtechniken es gibt, um Menschen zu führen, ohne Zwang anzuwenden. Die Transformierung des Verhaltens soll durch Praktiken erfolgen, die dem jeweiligen Menschen als logisch und frei wählbar erscheinen. Insofern ist dieses Buch ein interessanter Ratgeber, der Einblick gewährt in soziologische Begrifflichkeiten.