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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Roland Mierzwa

Armut und die Corona Krise. Die „Vorrangige Option für die Armen“ neu überdacht

Tectum Verlag, Baden-Baden

Erstausgabe 2020

Auf dem Foto zu sehen: Buchcover "Armut und die Corona-Krise" von Roland Mierzwa

Roland Mierzwa ist Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes und Diakonischer Bruder der Ev.-Luth. Diakoniegemeinschaft zu Flensburg (Kaiserswerther Verband) und ist in der Bahnhofsmission tätig. Zu Beginn zitiert der Autor den Spiegel: Durch die Corona-Krise gehe die Kluft zwischen Armen und Reichen noch deutlicher auseinander. Die sozial Benachteiligten tragen eine große Wut in ihrem Herzen und es muss etwas getan werden, um diesen Konflikt zu entschärfen, so der Autor.
Im Folgenden beleuchtet Mierzwa die Situation verschieden prekär lebender Gruppen genauer.
Hartz IV
Bei Thema Hartz IV fällt auf, so Mierzwa, dass die Betroffenen nicht in Würde leben können, sie können sich weder gesund ernähren noch ordentlich kleiden. „Das ist gewollt, damit diese Hartz IV Armut im Interesse der Herrschenden, Reichen und Einflussreichen als Drohkulisse, Druckmittel bzw. Disziplinierungsinstrument abschreckend auf die übrige Gesellschaftsmitglieder wirken kann, um deren Verhalten dadurch ‚positiv‘ in Sinne größerer Systemkonformität zu beeinflussen“. Über Hartz IV würden Abstiegsängste erzeugt, nicht mehr dazuzugehören, nicht mehr nützlich und wirtschaftlich zu sein, vorgeworfen zu bekommen ein „Sozialschmarotzer“ zu sein. Armut erzeugt demokratische Lethargie, so der Autor, durch die Prekarisierung manifestiert sich das Herrschaftssystem des Kapitals. Mierzwa verweist auf Pierre Bourdieu, ihm zufolge löst dies bei den (noch) nicht von Prekarität betroffenen Schichten Furcht aus, die im Kontext von „Prekarisierungsstrategien“ ausgenutzt wird. „Man wird den Verdacht nicht los, dass Prekarität gar nicht das Produkt einer mit der ebenfalls vielzitieren `Globalisierung` gleichgesetzten ökonomischen Fatalität ist, sondern mehr das Produkt eines politischen Willens […]“

In der Krise verschärft sich die Situation für Hartz IV-Bezieher; weil warme Mahlzeiten in den Schulen und in den Kitas wegfallen und keine „Bevorratungskäufe“ möglich sind, droht Mangelernährung, so die Verbraucherorganisation Foodwatch. Einer gerechten Lösung für Hartz-IV-Bezieher werde ausgewichen, so der Autor. Dies zeigt sich daran, dass ein „Bevorratungszuschuss“, ein regionalen Einkaufsgutschein in Höhe von 250€ und das „Bedingungslose Grundeinkommen“ nicht berücksichtig wurden. Trotz der Corona-Krise konnte sich die große Koalition nicht dafür entscheiden, für Kinder aus Hartz IV-Familien den Kinderzuschlage in Höhe von 185€ zu sichern. Zumindest der „Kinderbonus“ von 300€ und zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer sei den Harzt IV-Beziehern zu Gute gekommen.
Bei Hartz IV existierte auch eine digitale Kluft. In einigen Bundesländern wurde nur notdürftig einige iPads, Notebooks und Tablets zur Verfügung gestellt, so der Autor. Das Recht auf Grundbildung passt nicht zum Hartz-IV-Kind, vorgesehen sind 2,51 Euro pro Erwachsener und 2,07 Euro pro Kind für den Posten „Kauf und Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefonen und anderen Kommunikationsmitteln“ im Hartz IV-Regelsatz.  

Obdachlose
Auch die Situation der Obdachlosen hat sich in der Corona-Krise noch verschärft, Notunterkünfte und Aufenthaltstreff haben geschlossen. Viele Obdachlose erleiden Hunger, weil sie nicht mehr genügen Spenden einsammeln können, da sich weniger Menschen auf der Straße aufhalten. Darüber hinaus macht die Schließung öffentlicher Einrichtungen wie die Stadtbibliotheken die Situation für Obdachlose noch schwieriger, da sie sich hier aufwärmen und ins Internet gehen konnten, um sich über behördliche Anweisungen zu informieren, berichtet der Autor. Die Zahl der Obdachlosen hat sogar zugenommen, weil nicht einfach mal beim Kumpel auf dem Sofa übernachtet werden kann. Unter den Obdachlosen ist eine Zunahme der Gewalt zu verzeichnen, sie schlagen und beklauen sich. „Ein ‚soziales Element‘ des Obdachlosenlebens wurde nicht mehr möglich, weil den Obdachlosen von Sozialarbeitern*innen vermittelt wurde, dass man nicht mehr Zigaretten, Alkohol und Schlafplätze mit anderen Obdachlosen ‚teilen‘ dürfe; und trotzdem suchen sie die Nähe zueinander.“
Flüchtlinge/ Afrika
Der Autor betont, dass Malta von den EU-Ländern in der Flüchtlingskrise alleingelassen wurde, deshalb hat das Land ihre Grenzen Mitte April 2020 dichtgemacht, mit dem Hinweis es bräuchte Ihre Ressourcen an Polizei und Militär für die Bekämpfung des SARS-CoV-2. Darüber hinaus erwähnt der Autor die besondere prekäre Lage von Afrika. Durch Misswirtschaft haben die Staaten ein schwaches Gesundheitssystem. Die Kinder sind wie in  Falle von Somalia extrem unterernährt und anfällig für Viren. Bei vielen Menschen ist das Immunsystem durch Krankheiten wie HIV, Cholera und Malaria geschwächt. Fast 40 Prozent der Afrikaner, so UNICEF, können sich die Hände nicht mit Wasser und Seife waschen. Aus diesem Grund stehen Kindern mit ihren Kanistern täglich an einer Wasserstelle Schlange, „Social Distancing“ ist dem Autor zufolge unmöglich. Von der Corona-Krise sind Mädchen stark betroffen, sie sind in den Haushalt stärker eingebunden und meist können sich die Familien ihren Schulbesuch nicht mehr leisten, „(…) durch die Corona-Krise werden Bildungsbiographien zerstört“ schreibt der Autor; er verweist auf Katharina Ebel von den SOS- Kinderdörfern, mehr Mädchen werden verheiratet, um die Familien wirtschaftlich zu entlasten.
Indien
In Indien, so Mierzwa, gerieten die Tagelöhner in den Fokus der Aufmerksamkeit, was selten vorkommt. Sie marschierten aus Protest mit ihren Kindern und Alten 700 bis 600 Kilometer in die weit abgelegenen Dörfern; dabei wurden sie wie „Abwasser“ behandelt schreibt der Autor. Der informelle Sektor mit 400 Millionen Menschen geriet aufgrund der Corona Krise ins Wanken. Der informelle Sektor ist das Rückgrat der indischen Wirtschaft dazu gehören „ Erntehelfer, Straßenverkäufer, Rikschafahrer, Näher, Müllsammler, Haushaltshelfer*innen und Reinigungskräfte“.
Lösungsvorschläge
Empathie
Wir brauchen Empathie für die Armen, betont der Autor. Mierzwa verweist auf ein Experiment, hier wurde entdeckt, dass durch die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommens sich mehr Empathie in der Gesellschaft entfaltet. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Option um den „Dschungel der Leistungen“ zu lichten, die Menschen würden nicht in die Rolle des Bittstellers hineingeraten und es würde prekäre Verhältnisse aufheben.  
Lieferkettengesetz
Mierzwa plädiert für ein Lieferkettengesetz, als eine Antwort auf strategisches soziales Engagement von deutschen Unternehmen. Hier sollen die einzelnen Schritte bis zur Herstellung der Produkte gut überwacht werden, z.B. nicht nur Kinderarbeit beim Kobaltabbau in der DR-Kongo für deutsche E-Autos, sondern auch die Kinderarbeit im kongolesischen Kupferabbau. Beim Goldanbau ist eine Lieferkettengesetz jedoch irreführend, da „ (…) hier eine Umwelt – und Sozialverträglichkeit nur vorgegaukelt wird.“
Schuldenerlass/ Verbot von Kleinwaffen
Der Autor fordert, den armen Ländern die Schuldendienstzahlungen zu erlassen. Die im Jahre 2020 fällig werdenden Zinsen, Tilgungen und Gebühren auf öffentliche Auslandsverbindlichkeiten sollen gestrichen werden. Darüber hinaus bietet Burundi ein gutes Beispiel für ein Land, in dem eine vor kurzem erschiene Studie zeigt, wie Unsicherheit, Waffen und Binnenflüchlinge mit einander verflochten sind. Hier sind Kleinwaffen „flankierend/stützend“, somit können Macheten und andere Waffen zum Einsatz kommen. Der Autor schreibt: „ Das Leben durch die starke Verbreitung von Kleinwaffen ist so stark geprägt, so dass die Realität mit den Begriffen Angst, Traumatisierung, Hoffnungslosigkeit, Armut, Plünderung und Diebstähle, Vertreibung von Menschen innerhalb und außerhalb des Landes, Morde, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung (z.B. fehlender Zugang zu Orten der landwirtschaftlichen Produktion) und allgemeine Gesetzeslosigkeit beschrieben wird.“
Das Buch ist empfehlenswert, weil es alle wichtigen Themen in diesem Kontext erörtert; es ist übersichtlich und leserlich geschrieben. Mierzwa geht in die Tiefe, dabei erläutert er alle relevanten Gebiete die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind.