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„Damit geht der Gesellschaft etwas verloren“
„Soziale Ungleichheit – Eine Gefahr für die Demokratie?!“ war der Titel einer Veranstaltung mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras und Stefanie Bremer von taxmenow. Organisiert wurde sie von der „Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande“ und dem EFAS (Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration).
„Für mich ist der Titel eine Tatsache“, so Klaus Käpplinger, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Es gehe um Ungleichheit, mangelnde Empathie und fehlende Solidarität. So sei der Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung ungleich verteilt. Die Diakonie trete für die Menschen ein, die sich selbst nicht einbringen könnten, mit dem Ziel, dass diese für sich selbst sprechen können.
Marc Hentschke, Vorsitzender des EFAS und Geschäftsführer der Neuen Arbeit, betonte: „Als EFAS ist es uns sehr wichtig, über Grenzen und Milieus hinweg ins Gespräch zu kommen.“ Das sei auch ein Beitrag gegen die Schwächung der Demokratie.
Arme ziehen sich politisch zurück
In der Diskussion stimmte Aras zu, dass der Politik die Perspektive der armen Menschen fehle. „Damit geht der Gesellschaft etwas verloren“, so Aras, denn im Idealfall sollten die Parlamente die Gesellschaft widerspiegeln. Sie fügte hinzu „Wenn ich nicht weiß, ob ich über die Runden komme, ziehe ich mich eher zurück und engagiere mich nicht.“ Sie betonte, in der sozialen Marktwirtschaft gäbe es auch Verpflichtungen, etwa bei Wohnungen, so wie es im Artikel 14 des Grundgesetzes vorgesehen ist: „Eigentum verpflichtet“. „Solidarische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, wie sie mit denen umgehen, denen es nicht so gut geht.“ Fehlentwicklungen könne man aber nicht in zwei Jahren ändern. Sie forderte, bei der Bildungspolitik die parteipolitische Brille beiseite zunehmen und zu schauen, wie man eine langfristige, erfolgreiche Bildungspolitik ermöglicht.
Reichtum ist kein Thema für die Öffentlichkeit
Stefanie Bremer von taxmenow brachte die Perspektive von kritischen Vermögenden in die Diskussion ein. Taxmenow ist eine Initiative, die höhere Steuern für Reiche und eine Umverteilung von oben nach unten fordert. „Ich bin bei taxmenow, weil ich vermögend bin. Ich bin nicht vermögend, weil ich tatsächlich sehr viel dafür geleistet habe, ich bin vermögend, weil ich geerbt habe“, so Bremer, die aus einer Unternehmerfamilie stammt. Die Zeit sei reif für eine höhere Besteuerung der extrem Reichen, doch dies sei kein Thema für die Politik. Immer wieder, werde gesagt, es ginge bei höherer Besteuerung um Neid. „Aber das Neidargument zieht nicht, wenn Vermögende dabei sind“.
„Armut ist keine Schande. Reichtum ist nicht die Lösung“, so Bremer weiter. Auch der Reiche könnten nicht auf Dauer glücklich und sicher leben, wenn es anderen nicht einigermaßen gut geht. Man müsse die gängigen Erzählungen, etwa zum Thema Leistung, kritisch hinterfragen: „Was glauben wir eigentlich?“. Stattdessen brauche es andere Perspektiven und den Blick auf die Fakten. Dabei könne jeder mitmachen.
Aras betonte, wie schwierig es ist in der Demokratie verschiedene Interessen zu berücksichtigen und Kompromisse zu finden, etwa bei der Vermögens- oder Erbschaftssteuer. Sie wies auch darauf hin, dass das Soziale durchaus in der Politik berücksichtigt werde. So sei ein Drittel des Bundeshaushaltes für Soziales vorgesehen.
„Wächst die Ungleichheit, wächst die Unzufriedenheit
In Inputs brachten die Demokratiebegleiter:innen ihre Perspektive ein. Reiche hätten mehr Möglichkeiten, Einfluss auf die die Politik zu nehmen, seien in Parlamenten stärker vertreten und begleiteten häufiger politische Ämter, so Demokratiebegleiterin Sonja Gaidusch. Menschen aus prekären Schichten verlören dagegen die Motivation, zu wählen, weil sich für sie nichts ändert. „Ein Prozent der Menschen in Deutschland (nicht eingerechnet sind Kinder und Jugendliche) besitzt heute etwa 35 Prozent des Gesamtvermögens. Dies zeigt die wachsende Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland“, so Gaidsuch. „Wächst die Ungleichheit, wächst die Unzufriedenheit, weil sie schlicht und ergreifend ungerecht ist.“ Dies führe in den Vertrauensverlust der Politik und stärke extreme Parteien.
Demokratiebegleiterin Claudia Wanner berichtet von ihren Erfahrungen: „Bei Armutsbetroffenen findet kein Leben statt. Der ständige Überlebenskampf lässt keinen Raum dafür. Wie sollen arme Eltern ihre Kinder motivieren, da wird sehr viel Potential kaputtgespart. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von ‚in die Zukunft investieren‘. Sie müssen alle gleichermaßen gefördert werden, in einer reicheren gerechteren Welt, sonst sind sie als Demokraten schon verloren, weil sie wirkliche Demokratie mit Chancengleichheit und allen was dazugehört nie selbst erfahren haben.“
Von den über 80 Personen, die da waren, kamen positive Rückmeldungen. Landtagspräsidentin Aras möchte in Zukunft noch besser zuhören. Sie nahm auch die Anregung mit, in der politischen Bildungen mehr auf Menschen aus prekären Schichten einzugehen. Bremer meinte zum Schluss, sie freue sich, dass es Interesse und Verständnis für das Thema gibt.
Die Veranstaltung wurde filmisch dokumentiert. Das Video dazu finden Sie hier.
„Wir wissen, was gebraucht wird“
Diakonie-Vertreterinnen informieren sich über Beteiligungsprojekte von EFAS und Neuer Arbeit
Im Rahmen eines mehrtägigen Besuchs kamen Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik bei der Diakonie Deutschland, und Annette Noller, Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, auch zu Neuen Arbeit. Sie interessierten sich besonders für Beteiligungsprojekte, die von der Neuen Arbeit gemeinsam mit dem EFAS (Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration e.V.) organisiert werden. An diesen sind auch die „Demokratiebegleiter/-innen“ beteiligt.
Die Demokratiebegleiterinnen Claudia Wanner und Sonja Gaidusch sowie Rebecca Lo Bello vom EFAS stellten verschiedenen Projekte vor. „Die Beteiligung ist wichtig für die Betroffenen“, betonte Wanner gleich am Anfang. „Wir wissen, was gebraucht wird.“ Viele Betroffene führten ein einsames Leben. „Was wir verdient haben, ist, gefragt zu werden.“ Das entfalte dann eine positive Wirkung. Ein Beispiel ist für sie die Zukunftswerkstatt, an der Betroffene, Arbeitshilfeträger und Jobcentermitarbeitende teilgenommen haben. „Wir haben festgestellt, dass eigentlich alle dasselbe wollen: Passgenaue Arbeitsgelegenheiten.“ Die Ergebnisse flossen in die Stuttgarter Armutskonferenz ein, geplant ist auch eine Arbeitshilfemesse.
Auch die Bürgersprechstunden mit Politikerinnen und Politikern vor Ort, also dort wo Menschen in prekären Lebenslagen arbeiten und leben, seien erfolgreich. Hier könnte man Probleme anbringen, zum Beispiel die Anrechnung der Ausbildungsvergütung beim Bürgergeld. Für die Kirche eröffnen sich in Dialoggottesdiensten, sie werden von Betroffenen mitgestaltet, die Chance, wieder mehr Kontakt zu dieser Gruppe zu bekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal als Mitwirkende an einem Gottesdienst teilnehme, das war eine schöne Erfahrung. Ich habe da ein wenig den Weg zurückgefunden“, so Gaidusch.
Insgesamt fehle es an Kontakten zwischen Politik und Öffentlichkeit auf der einen Seite und den betroffenen Menschen auf der anderen, so die einhellige Meinung in der Runde. „Deswegen sprechen bei unseren Pressekonferenzen immer auch Betroffene“, erklärte Loheide. „Wir machen die Erfahrung, dass die Politiker nicht wissen, wie diese Menschen leben. Es kommt viel mehr an, wenn man die Geschichten hört, wie diese Menschen in die Situation geraten sind. Es kann irgendetwas passieren und dann rutscht man aus seinem normalen Leben raus. Menschen mit Behinderung, die selber für sich sprechen, Alleinerziehende, die selber für sich sprechen, Wohnungslose, die selber für sich sprechen, diesen Menschen geben wir die Bühne und stellen Kontakt her. Ich finde, wir haben kleine Erfolge damit.“
Auch ein weiteres Thema bewegte alle Anwesenden: Die Wahlerfolge der AfD. Sowohl die Demokratiebegleiter/-innen wie die Diakonie Deutschland überlegen gerade, wie sie über die Partei und ihre Ziele aufklären können. Am Ende ging es noch um die finanzielle Situation der Arbeitshilfeträger und die Unterstützung durch die Politik.
Insgesamt hinterließen die Beteiligungs-Projekte einen tiefen Eindruck bei den Besucherinnen und Besuchern.
Das war die Berliner Luft oder: Warum der Bundestag immer so leer ist
Auf Einladung der Linkspartei besuchten Demokratiebegleiter/-innen von der Neuen Arbeit die Hauptstadt Berlin
Mit welchen Aktionen fängt der politische Widerstand an und wie viele Mutige gab es im Dritten Reich, die diesen ausübten? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigten wir uns bei dem Besuch der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ im Bendlerblock, wo die Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg seinerzeit getötet wurden. Dabei wurden von Stauffenberg und Georg Elser als versuchte Attentäter gegenübergestellt und ihre Gegensätze herausgearbeitet. So gab es mit Elser den frühen, individuell handelnden Hitlergegner – und mit von Stauffenberg aber auch einen Bürger, der nach langem Reflexionsprozess im Rahmen seiner Mitverschwörer handelte.
Beim Besuch des Reichstages erhielten wir einen Vortrag, bei dem vor allem die aktuelle Reform der Stimmenverteilung des Bundestages im Mittelpunkt stand. Schlüssig war die Erläuterung, dass das Plenum deshalb immer so leer ist, weil die hauptsächliche Arbeit in den Ausschüssen stattfindet und nur die tatsächlich Mitwirkenden an einem Gesetz im Bundestag öffentlich debattieren.
Im Anschluss besuchten wir die Rosa-Luxemburg-Stiftung, wo bei einer kurzen Einführung auf die Besonderheit des deutschen Stiftungswesens aufmerksam gemacht wurde. Dieses gibt es in dieser Form in anderen Ländern nicht, es wurde nach dem Nationalsozialismus ins Leben gerufen, um die Politisierung der Zivilgesellschaft zu fördern. Bei der anschließenden Diskussion zum Thema „Sozialökologische Transformation unserer Gesellschaft“ ging es hitzig zu.
Am nächsten Tag führte uns eine lange Stadtrundfahrt gefühlt zu allen sehenswerten Orten im Osten und im Westen Berlins und ermöglichte es uns so, unter anderem das obligatorische Foto beim Bruderkuss an der EastSideGalery zu knipsen. Danach war die Bundeszentrale für politische Bildung unser Ziel, hier ging es um Umwelt- und Klimapolitik (ein ausführlicher Bericht dazu findet sich im Anschluss).
Nach einer kleinen, individuell verbrachten Pause wartete der Hackesche Markt auf uns. Im Mittelpunkt standen hier Zeugnisse der Judenverfolgung im Dritten Reich. So besichtigten wir die ehemalige Blindenwerkstatt von Otto Weidt, die heute ein Museum ist. Otto Weidt, selbst erblindet, eröffnete in der Rosenthaler Straße 39 eine Besen- und Bürstenbinderei. Als „wehrwichtiger Betrieb“ eingestuft bot sie ihm die Möglichkeit, hier seine größtenteils jüdischen Mitarbeiter vor den Deportationen zu schützen. Zu ihnen zählte unter anderem die bekannte spätere Journalistin Inge Deutschkron. In einem Hinterraum seiner Werkstatt versteckte Weidt vorübergehend die Familie Horn, bis sie schließlich doch entdeckt wurde.
In unmittelbarer Nähe besuchten wir abschließend das Anne Frank Zentrum. Vermittelt wird hier die Lebensgeschichte des jüdischen Mädchens Anne Frank in ihren einzelnen Stationen. Gezeigt wurde auch die Kopie des Originaltagebuchs von Anne Frank, in dem deutlich zu erkennen war, dass sie ob des Erlebten bewusst die Flucht aus der deutschen Sprache wählte und in Niederländisch schrieb.
Gesättigt und geplättet von den zahlreichen und widersprüchlichen Eindrücken ging es am nächsten Tag dann nach Haus.
Im Fokus:
Funktioniert Umwelt– und Klimaschutz ohne die Demokratie?
Beim Besuch der Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen der Berlin-Reise wurde kontrovers diskutiert
In jüngster Zeit gibt es enorme Kritik an den vom Bundeskabinett beschlossenen Mitteleinsparungen um gut 20 Prozent bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Wie wichtig deren Arbeit ist, zeigte sich bei einem Treffen im Rahmen der Berlin-Reise der Demokratiebegleiter/-innen.
Angestoßen von der Referentin hatten die Besucher/-innen in der Bundeszentrale eine kontroverse Diskussion zum Thema „Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Umweltschutz“. Dabei wurde anhand der Argumente deutlich, wie schwierig das politische Handling dieses Themas ist, denn es gibt verschiedene Handlungsstrategien. Die neoliberale Position fordert, die Politik müsse Zurückhaltung üben und die Wirtschaft machen lassen, weil es sich um ökonomische Entscheidungen überwiegend von Großkonzernen handele, die Politik setze dabei bestenfalls die Rahmenbedingungen.
Eine andere Position geht dahin, die Bevölkerung solle von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden, weil sie gar nicht über das Urteilsvermögen und das Fachwissen der Experten/-innen verfüge. An dieser Stelle wird deutlich, dass eine angemessene Vermittlung von umweltpolitischen Inhalten immer noch zu wünschen übrig lässt.
In einer dritten Position wird auf Beteiligung des Volkes bestanden. Der einzelne Bürger und die einzelne Bürgerin bestimmten über ihren Lebensstil den Grad der Umweltverschmutzung wesentlich mit und müsse deshalb mitgenommen werden. Thematisiert wurden auch die in Deutschland extrem langsamen politischen Entscheidungsprozesse, weil viele von ihren individuellen Widerspruchsrechten Gebrauch machen.
Ein Land wie China beweist, dass Umwelt- und Klimaschutz bei Anordnung von oben schneller vorangehen kann. Und: Auch wenn es sich bei China um keine Demokratie handelt, müssen demokratische Staaten mit China zusammenarbeiten, um den weltweiten Umweltschutz voranzubringen. Gleichzeitig gibt es auch in Deutschland die Forderung, dass individuelle Bürgerrechte eingeschränkt werden müssen, etwa durch die Anwendung des Planungsbeschleunigungsgesetzes.
So verließen die Besucher/-innen die Veranstaltung mit der Frage, ob und wieviel Zeit für einen „demokratischen Umweltschutz“ bleibt.