05.12.2018
Hartz IV oder „Heart’s Fear“?
Die Autorin Bettina Kenter-Götte liest aus ihrem Buch im Kaufhaus Bad Cannstatt
Über Hartz IV wird viel gesprochen, Berichte von Betroffenen gibt es wenige. Viele schämen sich und wollen nicht an die Öffentlichkeit.Anders die Schauspielerin und Synchronsprecherin Bettina Kenter-Götte.
Sie musste mehrmals in ihrem Leben Erfahrungen mit Hartz IV machen und empfindet das Hartz IV-System als „Schreckenskammer der Gesellschaft. Es wird nicht die Armut bekämpft, sondern die Armen.“ Bei einer Veranstaltung in DAS KAUFHAUS in Bad Cannstatt berichtete sie nun über ihre Erfahrungen, las aus ihrem Buch und spielte Szenen aus dem Leben einer Hartz IV-Bezieherin.
Dreimal war Kenter-Götte mit dem Sozialsystem konfrontiert, einmal noch mit dem alten Sozialhilfesystem, zweimal mit Hartz IV. Gründe dafür waren die Geburt ihrer „Überraschungstochter“, eine lange Krankheit und die Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch, die viele Beschäftigte in diesem Bereich hart traf. „Ich wollte den Hartz IV-Beziehern ein anderes Gesicht geben, nicht das der bildungsfernen, faulen Unterschicht.“ Für sie handelt es sich bei Hartz IV um „Menschenrechtsverletzungen“.
Während des Abends machte Kenter-Götte deutlich, was HARTZ IV für die Betroffenen bedeutet, vom 55-seitigen Antrag, über so genannte Maßnahmen und den Besuch eines Tafelladens bis hin zu völligen Streichung der Unterstützung. Sie mischte dabei Erzählung, Lesung und Spielszenen.
Für letztere erfand sie zwei Figuren: Frau Peiniger, Dozentin bei einer Maßnahme, die die Teilnehmenden schikaniert und ihnen Angst einjagt. Und Frau Liba, Meßnerin in einer Kirche, die mit ihrem Herrgott hadert und große Empathie für die Betroffenen hat: „Brauch man net Hartz, brauch‘ ma mehr Herz!“
Mit ihrer Mischung aus Vortrag und Spiel bringt Kenter-Götte viele beindruckenden Fakten ans Publikum. Etwa, dass viele Läden Gutscheine von Hartz IV-Beziehern nicht annehmen, weil das Jobcenter das Geld dafür oft jahrelang nicht überweist. Oder dass zwar Millionäre Kindergeld bekommen, Arme aber nicht. Besonders beeindruckend waren die Szenen zu den Sanktionen bis hin zur völligen Streichung.
Sanktionen werden oft schon für Kleinigkeiten verhängt und bei Totalsanktionen wird alles gestrichen, selbst die Krankenversicherung. 34.000 Totalsanktionen werden jedes Jahr verhängt, in einigen Fällen bedeutet das für die Betroffenen den Tod. „Fragen sie die Menschen, ob es richtig ist, dass man einem Mörder das Licht abdreht, die Medikamente entzieht, die Lebensmittel entzieht. Sie werden sagen: Das verstößt gegen die Menschenrechte.“
Am schlimmsten aber sei, dass selbst sehr gute Freunde ihr nicht glauben, wenn sie über Hartz IV erzählt: „Sie glauben mir nicht. Sie glauben mir nicht, was ich erlebe.“ Zwar ging es für die Schauspielerin selbst gut aus, sie kann wieder arbeiten und hat ihre späte, große Liebe gefunden.
Aber auch dabei bleibt ein Beigeschmack. „Es bedeutet, dass die Frau nur durch die Ehe gerettet werden kann.“ Kenter-Götte will weiter gegen das Hartz IV-System kämpfen. Am Ende zitiert sie aus „Asterix erobert Rom“: „Hier kommen wir nie mehr raus, Asterix. Hier verlieren wir das letzte bisschen Verstand und werden Cäsars Sklaven.“