05.02.2019
„Betroffene berichten – Politiker hören zu“
Langzeitarbeitslose berichten aus ihrem Leben - die Politik verspricht Hilfe
„Prekariat gibt es heute überall, nicht nur in Gestalt von Langzeitarbeitslosigkeit“, warnte Roland Sauer, Sprecher der Landesarmutskonferenz, und fordert mit Nachdruck: „Prekäre müssen ihre eigene Lobby bilden!“
Eine wichtige Gelegenheit bot sich hierfür bei der Veranstaltung „Betroffene berichten – Politiker hören zu“, einem Format der Denkfabrik in Kooperation mit der Vesperkirche Stuttgart, in der Leonhardkirche. Zum Gespräch eingeladen waren die Kommunalpolitiker/-innen Beate Bulle–Schmid (CDU), Andreas Winter (Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Michael Jantzer (SPD), Thomas Adler (SÖS–Linke–PluS) und Ilse Bodenhöfer–Frey (Freie Wähler).
Die Moderation erfolgte durch Christina Metke, während Luise Jahnke, Helmut Winkler und Knut Licina das Sprachrohr der Betroffenen bildeten. Sie berichteten am Anfang der neunzigminütigen, gut besuchten öffentlichen Veranstaltung aus ihrem Leben als Langzeitarbeitslose und wie sie in jene prekäre Lage geraten sind. Wobei sie einmal mehr mit dem Vorurteil aufräumten, diese seien einfach nur faul und folglich selber schuld an ihrer Situation. Eloquent referierten sie über ihren beruflichen Werdegang, ihre Jugendträume und deren ernüchterndes Zusammentreffen mit der Realität auf dem Arbeitsmarkt.
Luise Jahnke hatte beispielsweise ihre Mutter verloren, was sie verdrängte, indem sie sich in die Arbeit stürzte. Als sie diese dann verlor, holte sie die Vergangenheit schließlich ein und sie fiel in ein tiefes Loch. Und dann begann das Jobcenter zu fördern und vor allem zu fordern, wobei sie das erste Bewerbungstraining im Zuge dessen auch gerne gemacht hatte – die sechs weiteren dagegen weniger!
„Das Schlimmste an der Arbeitslosigkeit ist, dass einem die Decke auf den Kopf fällt“. Diese Worte stammen von Helmut Winkler. Nach einem abgebrochenen Mathematikstudium landete er 1990 beim Stuttgarter Wochenblatt, wo er bis zum leitenden Redakteur aufstieg. Bis dann 2013, aufgrund weitreichender Sparmaßnahmen, der gesamten Redaktion gekündigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war er 55 Jahre alt. Und auch das hochmotivierte Schreiben von vierhundert Bewerbungen führte gerade einmal zu zwei, leider erfolglosen, Bewerbungsgesprächen. Diesbezüglich teilt er ein Schicksal, dass viele Langzeitarbeitslose betrifft, trotz immensen persönlichen Einsatzes noch nicht einmal die Gelegenheit zu bekommen, sich persönlich vorzustellen und dabei einen positiven Eindruck zu machen.
Bei den anwesenden Politikern machten sie allerdings durchaus Eindruck, denn diese zeigten sich mehrheitlich solidarisch und verständnisvoll: Die Christdemokratin Beate Bulle-Schmid beispielsweise möchte dem Jobcenter bezüglich sinnfreier Maßnahmen auf die Füße treten, während Thomas Adler (SÖS-Linke-PluS) gleich zu Anfangs klarstellte, dass seine Partei bereits seit Inkrafttreten der Hartz–Gesetze fordert, diese wieder abzuschaffen beziehungsweise grundliegend zu ändern. Ein entsprechender Antrag, und nicht der erste seiner Art, sei erst kürzlich eingereicht worden. Ansonsten wolle man so gut wie möglich helfen, Langzeitarbeitslosen aus ihrer prekären Situation zu helfen.
Dies nahm am Ende der Veranstaltung Pfarrerin Ehrmann von der Vesperkirche, nachdem sie sich die Moderatorin bei allem Teilnehmenden für den gelungenen Abend bedankte, zum Anlass, die anwesenden Politiker an ihre diesbezügliche Verantwortung gegenüber den Betroffenen zu erinnern und sie kündigte an, in einem halben Jahr einmal nachzufragen, was sich konkret getan habe. Aber vielleicht kommt ja der eine oder andere in einem Jahr wieder in die Leonhardkirche, wenn es wieder heißt: „Betroffene berichten – Politiker hören zu!“