25.10.2018
Ein würdevolles Leben als Maßstab und Reichtum als moralisches Problem
Im Kaufhaus fordert der Philosoph Christian Neuhäuser ein Umsteuern bei der Vermögensverteilung
„Reichtum als moralisches Problem“ war der Titel eines Vortrags im Kaufhaus Bad Cannstatt. Gehalten wurde er von Christian Neuhäuser, Professor für praktische Philosophie an der Universität Dortmund. Er beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und hat auch ein Buch darüber verfasst.
Bevor er zum Kern der Frage kam, versuchte Neuhäuser zunächst einmal, Reichtum zu definieren, denn die Frage „Wann ist jemand reich“ hängt sehr vom Blickwinkel ab. Neuhäuser unterscheidet zwischen „Superreichen“, „Reichen“ und „Wohlhabenden“. Zu den Superreichen zählt er die Milliardäre, wie man sie etwa aus dem „Silicon Valley“ kennt, aber auch Eigentümer und Manager großer Unternehmen. Die Superreichen haben „unvorstellbar viel mehr Geld als der Durchschnitt der Gesellschaft und unvorstellbar viel mehr Geld, als man für ein würdevolles Leben braucht“, so Neuhäuser. Zu den „Reichen“ zählen alle Millionäre. Reiche haben deutlich mehr Geld als der Durchschnitt der Gesellschaft und deutlich mehr Geld, als man für ein würdevolles Leben braucht. „Wohlhabende“ haben ungefähr so viel Geld wie der Durchschnitt der Gesellschaft und genug Geld für ein würdevolles Leben. Das gilt allerdings nur für reiche Gesellschaften. In sehr armen Gesellschaften sind Menschen mit durchschnittlichem Einkommen und Vermögen nicht wohlhabend, denn sie haben nicht genug für ein Leben in Würde. Global gesehen sind die meisten Menschen in den westlichen Ländern wohlhabend.
Nach diesen Definitionen ging Neuhäuser zu moralischen Kernfrage: „Ist Reichtum ungerecht?“ Die Antwort aus Sicht Neuhäusers ist: Ja. Einerseits verteilt er Chancen und gesellschaftliche Möglichkeiten ungleich. Reiche können Druck und Einfluss ausüben, etwa bei Lohnverhandlungen, bei der Stadtplanung oder in den Medien. Aber auch reiche Länder können Druck ausüben, etwa wenn es um Handelsabkommen mit ärmeren Ländern geht. Reichtum führt also zu Machtungleichgewichten und widerspricht dem Gedanken, dass alle gleiche Chancen haben sollen. Andererseits hängt Reichtum nicht von der Leistung, sondern vom Glück ab. So gibt es auf Talenten beruhendes „persönliches Glück“: Habe ich Fähigkeiten, die gebraucht werden, bin ich voll leistungsfähig oder muss ich mit Krankheiten oder Behinderung kämpfen? Das zweite ist das auf Institutionen beruhendes „strukturelles Glück“: Habe ich einen Beruf, der gebraucht wird. Gibt es Nachfrage für das, was ich anbiete? Schließlich gibt es das, auf Beziehungen beruhende, „soziale Glück“ Wo und in welche Familie bin ich aufgewachsen? Wie werde ich gefördert? Wie gut ist die Schule, die ich besuche?
Neuhäuser meint: Reichtum fördert Leistung nicht, sondern bremst sie eher aus. „Ich glaube ganz viele Leute wissen, dass das mit diesem Glück zu tun hat und auch wissen, dass sie selber dieses Glück nicht haben. Sie gehen deswegen mit dem Gefühl durch die Welt, dass es sich für sie es gar nicht lohnt, zu versuchen etwas zu leisten, weil sie sowieso keine Chance haben, weil sie das Glück nicht haben“, so sein Fazit. Gerechtigkeit sei aber ein zentraler Wert, Ungerechtigkeit dagegen führe zu „politischer Instabilität und unzivilisierter Radikalisierung“. Die Gesellschaft müsse deswegen umsteuern. So sollten die Steuern niedrig sein, aber ab dem Punkt, wo Einkommen und Vermögen in den Bereich des Reichtums kommen, stark ansteigen. Als Konsequenz würde es sich nicht mehr lohnen, nach Reichtum zu streben, und es gäbe eine Umverteilung bei den Löhnen.
Das Publikum hört gespannt und angeregt zu, hatte aber auch viele Fragen und Kritikpunkte. Es war ein spannender Abend, der sich einem wichtigen Problem widmete.