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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Ronen Steinke

Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich – Die neue Klassenjustiz

Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin / München
Erstausgabe 2022

Auf dem Foto zu sehen: Buchcover "Die Demokratie braucht uns!" von Claudine Nierth

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Dieser Grundsatz ist fundamental wichtig für unser Rechtsverständnis. Denn er spricht jedem Bürger die gleichen Rechte zu, sei er nun wohlhabend und gut situiert oder arbeitslos und mit nur wenig finanziellen Mitteln ausgestattet.

Ronen Steinke ist der Meinung, dass diese Gleichheit nicht mehr der Fall ist. Er spricht von einer „neuen Klassenjustiz“. Was bedeutet dies konkret? Steinke spricht von Mentalitäten und Vorverständnissen in weiten Teilen der Justiz, aber auch im Gesetz, bezogen auf das Milieu, aus dem jemand stammt. Sie führen zu einer Ungleichbehandlung von Arm und Reich – die seiner Meinung nach sogar eher zugenommen hat.

So geht es vor Gericht vor allem auch um die Lebensführung: wie der oder die Angeklagte sich im familiären Rahmen verhält, ob er oder sie zum Beispiel viel Alkohol konsumiert, oder ob er oder sie der Familie gegenüber gewalttätig ist.

Diese Fakten, sofern sie dem Gericht vorliegen, können die Urteilsfällung stark beeinflussen. Denn sie zeigen dem Richter bzw. der Richterin, ob er oder sie Milde oder Härte anwenden soll. Ob er oder sie den oder die Beschuldigte/n mit einer Ermahnung davon kommen lässt, ein Exempel statuieren soll. Jemand, der sich offenkundig korrekt verhält, ein anständiges Leben führt, nicht alkoholabhängig ist und auch keine Drogensucht hat, der wird oft mit Milde bedacht. Denn eine Strafe, zum Beispiel eine Haftstrafe, würde als harter Eingriff in das Leben des oder der Beschuldigten gewertet. Wenn dieses aber anscheinend gut läuft, in Ordnung ist, wäre ein solcher Eingriff eher kontraproduktiv.

Steinke erzählt von einem fiktiven Fall, der darlegen soll, wie unterschiedlich ein Gerichtsurteil ausfallen kann – wenn die Lebensumstände des Beschuldigten unterschiedlich sind, der Tatbestand aber derselbe ist. Ein Lagerarbeiter hat eine Kiste Whisky geklaut. In dem einen Fall wird der Lagerarbeiter als verlässlicher Familienvater dreier Kinder dargestellt, der überdies auch noch in einem Verein tätig ist und im Unternehmen als zuverlässig und kompetent bekannt ist. Im anderen Fall sieht dies schon ganz anders aus: Der Lagerarbeiter hat ein Alkoholproblem, er lebt getrennt von seiner Frau.

Steinke zeigt nun auf, wie sich die Begründungen der Richter, die den Fall bearbeiteten, unterscheiden. Bei dem anständigen Familienvater ist die Strafe oft sehr gering, teilweise wird ihm die Schuld sogar ganz erlassen. Bei dem Familienvater mit Alkoholproblem sieht das anders aus. Hier wird von einer „Lebensführungsschuld“ gesprochen, der Lagerarbeiter müsse hart bestraft werden, denn aus seiner Lebensführung gehe hervor, dass er sich auf einem Pfad befinde, der mit einer Strafe korrigiert werden muss.

Ein weiteres Problem ist, dass man sich als wohlhabender Angeklagter einen teureren Anwalt leisten kann. Dieser wiederum hat dann die Ressourcen, um den Fall seines Mandanten so zu bearbeiten, dass dieser oft straffrei oder zumindest mit geringer Strafe endet. Vor allem die Tatsache, dass viele Gerichte unter einer großen Fall-Last leiden, bedeutet, dass Fälle oft schnell bearbeitet werden müssen. Wenn hier nun ein Delikt vorliegt, bei dem die Strafe nicht allzu hoch ausfallen kann, und der Anwalt oder gar die Anwälte des Beschuldigten den Richter mit Material und Anfragen versorgen, kann es gut sein, dass das Verfahren eingestellt oder stark verkürzt wird.

Solche Fälle finden sich in den acht Kapiteln des Buches viele. Es geht in ihnen um vielfältige Dimensionen des Gesetzes – und natürlich Verstöße gegen dasselbe: Gefängnisstrafen, Untersuchungshaft und zum Beispiel auch um das Thema Drogen – stets in der Hinsicht auf die unterschiedliche Behandlung armer und wohlhabender Menschen vor Gericht.

Zum Abschluss seines Buches zählt Steinke noch einige Vorschläge auf, wie die Justiz es besser machen könnte: Da die soziale Gerechtigkeit eng mit den Geldern zusammenhängt, die der Justiz zur Verfügung steht, zum Beispiel um Fälle zu bearbeiten, sollten diese Gelder erhöht werden. Desweiteren fordert Steinke Pflichtverteidiger für alle, die sich in einem Strafverfahren befinden. Ebenso fordert er, dass Drogendelikte und das Fahren ohne Fahrausweis im Nahverkehr entkriminalisiert werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ronen Steinke ein sehr schönes Buch gelungen ist. Es ist ein wichtiges Buch, da es die Realität vieler armer, prekär lebenden Menschen, die aus den verschiedensten Gründen gesetzeswidrig handeln, aufzeigt und Verbesserungsvorschläge schildert.


Buchbesprechung von Demokratiebegleiter Andreas Kraft