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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt

Wie Demokratien sterben

Deutsche-Verlags-Anstalt
Erstausgabe Mai 2018

Auf dem Foto zu sehen: Buchcover "wie Demokratien sterben" von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt

Die beiden US-Forscher Steven Levitsky und Daniel Ziblatt behaupten: „Die Zeit zwischen 1990 und 2015 dürfte das demokratischste Vierteljahrhundert der Geschichte gewesen sein, nicht zuletzt auch, weil die Westmächte sich zumeist für die Demokratie starkmachten“. Dennoch schreiben sie in ihrem Bestseller “Wie Demokratien sterben“ auch: „War die Vorstellung, dass die Demokratie sich weltweit auf dem Rückzug befindet, vor 2016 also weitgehend ein Mythos, könnte Trumps Präsidentschaft - zusammen mit der Krise der EU, dem Aufstieg Chinas und der zunehmenden Aggressivität Russlands - dazu beitragen, dass sie Realität wird“. Anhand der Analyse der politischen Machtübernahme und Machtausübung von Donald Trump in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch anhand zahlreicher Vergleichsbeispiele aus Lateinamerika und Europa beschäftigen sich die Autoren in neun Kapiteln ausführlich mit der Frage, wie und warum Demokratien sterben. Levitsky und Ziblatt, beide Professoren für Regierungslehre in Havard, stellen dabei die These auf, dass Demokratien heute nicht mehr mit Gewalt von außen abgeschafft werden, sondern ein Umbruch von innen heraus stattfindet. Auch sie sehen - wie viele andere - Donald Trump nicht als Auslöser der politischen Krise in Amerika, sondern lediglich als ein Symptom. Und doch wird deutlich, dass dieser Mann und seine Präsidentschaft eine gefährliche Herausforderung für die amerikanische Demokratie markiert und diesen möglichen Umbruch von innen heraus repräsentiert.

Es ist kein bewusster Plan nötig, um die Demokratie abzuschaffen. Am Anfang stehen höchst aggressive Worte, die dann in Taten übergehen. Der Grund dafür ist: Demokratie bedeutet Arbeit. Und nicht alle Politiker/-innen mögen sich dieser Arbeit aussetzen. Als nächster Schritt folgen kleine Hiebe, häufig mit legitimen Anstrich. Dann folgen Angriffe auf Justiz, Polizei, Nachrichtendienste und Steuerbehörden. Personen werden ausgetauscht, neutrale Positionen parteiisch besetzt. Dann wird der Kampf gegen die Opposition, die Presse und Unternehmen geführt. Das Ergebnis ist verheerend: Die Gegner ziehen sich zurück. Anschließend folgen Veränderungen an der Verfassung und am Wahlsystem. Dabei ist der Schutz des Systems häufig der Vorwand, warum sie verändert werden. Abschließend werden Krisen und Kriege häufig als Gründe verwendet, um die Exekutive weiter zu stärken.

Die Autoren schildern die Merkmale, die zur Autokratie neigende Politiker/-innen kennzeichnen. Für diese haben die beiden US-Forscher eine Tabelle aufgestellt, anhand derer man Kandidaten/-innen in der Gefährdung der Demokratie einordnen kann. Orientiert man sich an diesen Punkten, so trägt Donald Trump eindeutig autokratische Züge. So versuchte er schon in der Wahl gegen Hillary Clinton die Legitimität der Wahl anzuzweifeln. Trump verunglimpfte seine Gegnerin Clinton als Kriminelle. Und mehr als einmal hat er im Zusammenhang mit gewalttätigen Protesten von rechts Gewaltanwendung nicht eindeutig genug verurteilt. Schließlich versuchte er auch gegen die kritische Presse vorzugehen. Was ihm zwar über Klagen nicht gelang, aber durch den Ausschluss missliebiger Presseorgane aus Pressekonferenzen.

Vergleicht man wie die Autoren die Politik mit einem Fußballspiel, so führt Donald Trumps scharfe Angriffe gegen Schiedsrichter (bspw. den FBI-Chef James Comey), gegen Gegenspieler/-innen (Medien wie die New York Times oder die Washington Post) und er versucht, die Spielregeln zu ändern (versuchte Einflussnahme auf das Wahlrecht und der Versuch, den Filibuster im Senat abzuschaffen). Trumps zahlreiche Normbrüche auf vielen Ebenen sind zersetzend. Das gilt vor allem für seine vielen Lügen oder die Beleidigungen der Presse. Sie führen zu einer Maßstabsveränderung, was in den Vereinigten Staaten normal ist und was nicht. Es entsteht ein neues abweichendes Verhalten. Das beste Beispiel ist das Impeachment: Unter Nixon hat dessen eigene Partei noch die Gefolgschaft verweigert und ihn so zum Rücktritt gezwungen. Im Impeachment-Verfahren gegen Trump kam dieses Verhalten für die Republikaner nicht in Frage. Für alle seine Nachfolger/-innen im Präsidentenamt wird ein Tabubruch leichter, weil Trump und leider auch seine Partei alle Grenzen eingerissen haben.

Die Autoren bilanzieren, dass die USA nicht immun ist gegen den Zusammenbruch des politischen Systems. Doch welche Szenarien gibt es für die Zeit nach Donald Trump? Entweder es erfolgt eine Erholung der Demokratie. Oder es bleibt bei der gegenwärtigen politischen Konfrontation. Oder nach Meinung der Autoren am wahrscheinlichsten ist eine verschärfte institutionelle Kriegsführung, also eine Politik ohne die weichen Leitplanken von gegenseitiger Achtung und institutioneller Zurückhaltung. Trump zu verhindern, zu boykottieren oder ein Impeachment anzustreben ist nach Meinung von Levitsky und Ziblatt der falsche Weg, da das in eine Negativspirale führt. Richtig ist stattdessen eine Konzentration auf die Institutionen, in der Opposition eine breite Koalition zu bilden und die soziale Spaltung aufzuheben. Außerdem sollte man eine Wahlrechtsreform durchführen mit einer neuen Festlegung der Wahlbezirke und einer Abschaffung der Wahlmänner. Doch das ist schwierig, da die Republikaner eine Antisystempartei geworden sind, die sich erstmal selbst neu gründen müssten.

Donald Trumps Weigerung, die Wahl Joseph Bidens zum nächsten Präsidenten anzuerkennen und der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 von seinen rechts-gerichteten Anhängern/-innen nach einer seiner aufstachelnden Reden markiert den traurigen Höhepunkt seiner Amtszeit. Die Geschehnisse beweisen aber auch, dass die Fragen, die die Autoren Levitsky und Ziblatt in “Wie Demokratien sterben“ behandeln, aktuell von großer Relevanz sind. Ihnen ist in ihrem Urteil zuzustimmen, dass die Demokratische Partei den progressiven Weg unter Biden fortsetzen sollte, damit die Veränderungen der Gesellschaft auf breiterer Basis integriert werden können. Außerdem - darin ist den Autoren auch beizupflichten - sollte sie die sozialen Ungleichheiten mildern, indem sie eine Änderung von Sozial-, Arbeitsmarkt- und Familienpolitik durchführt. Aber auch wenn sie vor allem die Negativentwicklung der Republikanischen Partei der letzten Jahrzehnte, die zur gegenwärtigen Krise beigetragen hat, ausführlich geschildert haben, so sehen sie deren zukünftige politische Entwicklung meiner Meinung nach zu positiv, wie jetzt in deren Haltung zum zweiten Impeachment-Verfahren zu erkennen ist. Nicht beantwortet haben sie die Frage, ob das Zweiparteiensystem in den USA noch eine Existenzberechtigung hat, da es die Polarisierung der Gesellschaft fördert und destabilisierend auf das politische System wirkt. Die USA stehen exemplarisch für die gegenwärtige Gefährdung der Demokratie und geben auch uns in Europa und in Deutschland Anhaltspunkte, wo wir gefährdet sind und was zu tun ist.