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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Bettina Kenter-Götte

Heart's Fear / Hartz 4

Verlag Neuer Weg
Erstausgabe: 01. 03. 2018

„Hartz 4“ – kaum ein Thema polarisiert mehr, als das berüchtigte Kürzel des vierten Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt. Für die einen ein gern gesehenes Gängelungsinstrument, das tolldreiste Arbeitsverweigerer wieder unter das gerechte Joch der freien Markt-wirtschaft beugen soll, ist die weitreichende arbeitsmarktpolitische Reform für andere nichts weniger als ein skandalöser Verstoß gegen das Grundgesetz. Und das Bemerkenswerteste dabei ist, dass der Großteil derer, die sich zu Wort melden, letztlich keinen blassen Schimmer von der Hartzer Lebenswirklichkeit haben, hatten sie doch nie das Pech hilfsbedürftig zu werden. Besonders ärgerlich ist das dann vor allem bei Befürwortern der Sozialreform. Informiert, oder treffender desinformiert, lediglich durch irreführende Schlagzeilen über Florida-Rolf und Mallorca-Karin, verzichten sie bereitwillig auf jegliche Empathie oder gar Sympathie und verteidigen das ROT/GRÜNE Machwerk inbrünstig mit Kampfbegriffen wie „Sozialschmarotzer“ und „Abstandsgebot“.

Das verzerrt und vergiftet wiederum die öffentliche Wahrnehmung gegenüber den Bedürftigen und schürt ganz allgemein ein ungesundes gesellschaftliches Klima. Qualifizierte Gegenstimmen gibt es zudem wenige – und zu hören sind sie bei all dem Geschrei in der Boulevardpresse ohnehin nicht.

Für Bettina Kenter-Götte, Schauspielerin, Synchronsprecherin und selber zeitweise mit dem fragwürdigen Sozialhilfesystem konfrontiert, ist diese Situation untragbar und hochgradig erschütternd; ihre polemisch-satirische Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema dagegen erheiternd und erfrischen rebellisch. Die spröden Dialoge, die sie den Akteuren in den Mund legt, und die fast schon grenzwertige Überspitzung der szenenhaft dargestellten Situationen vermitteln dabei jedem, der noch nie in den Genuss eines direkten Aufeinander-treffens mit ARGE, Jobcenter und Co gekommen ist, einen stimmigen Eindruck des emotionalen Grundtons dieser Erfahrung.

Der geneigte Leser kann sich also auf allerlei augenöffnende Einblicke in fordernde Fördermaßnahmen freuen, wie: Wiederholte Bewerbungstrainings, ob in diesem Bereich nun das Problem liegt, oder nicht. Ballspielen zur Stärkung der Teamfähigkeit, Riesenpuzzles zusammensetzen, Umschulungsmaßnahmen zum Gabelstaplerfahrer – für gelernte Gabelstaplerfahrer oder, besonders erlesen, das sogenannte REAL-LIFE-TRAINING, bei dem Langzeitarbeitslose den alltäglichen Ablauf in einem Supermarkt simulieren, indem sie sowohl die Rolle des Kunden wie auch des Kassierers „spielen“.

Und nicht zu vergessen natürlich: „Flöhe zählen“! Bei dieser hochinteressanten fördernden Fordermaßnahme wird dem überglücklichen Teilnehmer ein Bild mit einem gezeichneten Hund überreicht, auf dem unzählige Male das Wort „Floh“ geschrieben steht. Und diese hat der angemessen devote Förderling dann zu zählen, und wehe er weigert sich oder weist auf die Unsinnigkeit der Aufgabe hin, dann wird ihm eben das Existenzminimum gekürzt … Ach ja, und im Raumpflegekurs lernen alleinerziehende Mütter dann auch endlich einmal das Nistverhalten anständiger menschlicher Wesen kennen – äußerst hilfreich, und natürlich längst überfällig. Nach HARTZer Logik muss es schließlich einen Grund geben, warum jemand alleinerziehend und darüber hinaus auch noch arbeitslos ist!