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Buchbesprechungen

Wissen ist ein elementarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und viel Wissen findet sich in Büchern. Die Demokratiebegleiter/-innen wählen deshalb Bücher mit gesellschaftlich relevanten Themen aus. Das Besondere dabei ist, dass sie diese auch selber rezensieren.

 

Michael Hartmann

Die Abgehobenen

Campus Verlag
Erstausgabe: 16.8.2018

Dr. Michael Hartmann, der 2013 im Kulturwerk der Neuen Arbeit einen Vortrag zum Thema „Was man gegen die Spaltung der Gesellschaft tun kann“ gehalten hat, liefert mit seinem neusten Buch eine gnadenlose und gründliche Analyse des schädlichen Einflusses der Eliten auf unsere Zivilgesellschaft. Dabei identifiziert er als Hauptursache für die allgemeine Politikverdrossenheit und das Erstarken des Rechtspopulismus die, von jenen Eliten bevorzugte und vorangetriebene, neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte. Dieser wirtschaftliche Wandel wurde zwar von der breiten Bevölkerung weitestgehend unterstützt oder zumindest toleriert, was jedoch zum Großteil diversen Mythen zu verdanken ist, die von der herrschenden Klasse in Umlauf gebracht wurden. Jene Mythen wissenschaftlich zu untersuchen und deren Fiktionscharakter zu entlarven, sieht Hartmann daher als wichtigen Teil seiner aufklärerischen Arbeit.

Nehmen wir beispielsweise den allseits bekannten Mythos von der Leistungsgesellschaft. In dieser leben wir ja angeblich, und hier schaffen es – angeblich – nur die Besten und Fähigsten bis ganz nach oben, womit deren Reichtum dann ausreichend gerechtfertigt ist. Dieses, durch Können und Leistung bedingte, Aufsteigen in höhere Gesellschaftsschichten wird in der Wissenschaft „Soziale Mobilität“ genannt, und die motivierende Wirkung auf Menschen mit geringerem Sozialstatus ist unumstritten. Schaut man sich hierzu allerdings die Statistiken an, ist man eher gewillt, diese Idee in dieselbe Rubrik einzuordnen, wie die Werke der Gebrüder Grimm, als sie zu einem Gegenstand des ernsthaften öffentlichen Diskurses zu erheben. Denn die Zahlen zeigen eindeutig, dass nicht die persönlichen Fähigkeiten sondern die soziale Herkunft für das Erlangen von Spitzenpositionen ausschlaggebend ist. Anstelle von einer Leistungselite spricht man also laut Hartmann besser von einer Herkunftselite.

Oder wie wäre es mit dem Märchen vom Internationalen Markt für Topmanager. Dieses wird herangezogen, um gegenüber dem Normalverdiener zu begründen, warum es voll und ganz in Ordnung ist, dass der Manager in seiner Firma hundert Mal mehr verdient als er: Um wettbewerbsfähig zu sein, so heißt es nämlich, müssten die Gehälter international mithalten können, vor allem auch mit den absurd hohen in den Vereinigten Staaten. Für Deutschland heißt das, dass die Managerlöhne weiter und weiter angehoben werden müssen, mit dem erklärten Ziel, die internationale Creme de la Creme für Führungspositionen in deutschen Unternehmen zu gewinnen. Wirft man wiederum auch hier einen Blick auf die Zahlen, lässt sich der illusionäre Charakter der Geschichte schwer leugnen. Denn nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der deutschen Topmanager kommt aus dem Ausland! Dabei sollte es doch eher wie im Profifußball sein, wo es tatsächlich einen internationalen Markt gibt und bald jeder zweite Spieler aus dem Ausland stammt.

Da diejenigen, die diese Mythen verbreiten, in der Regel auch an sie glauben, wird überdeutlich, dass Reiche, vor allem wenn sie reich geboren wurden und nie Kontakt mit der „normalen“ Bevölkerung hatten, eine Parallelwelt bewohnen, die sie von den harschen Lebenswirklichkeiten der Normalbevölkerung derart entfremdet, dass ihre Vorurteile gegenüber dieser bestenfalls noch als entgleister Selbstbetrug, schlimmstenfalls als dreister Spott klassifiziert werden muss. Da wundert einen auch folgende Aussage nicht, die einen bezeichnenden Einblick in das irritierende Selbstverständnis eines Topmanager gewährt: „Mein Gehalt und das meiner Kollegen ist absolut angemessen! Wir leisten sehr viel für unser Land, erwirtschaften jedes Jahr knapp drei Milliarden Euro und beschäftigen zweihundertvierzigtausend Menschen!“

Dass nicht sie, die Topmanager, sondern größtenteils jene zweihundertvierzigtausend Mitarbeiter die drei Milliarden Euro erwirtschaften, kommt ihm dabei anscheinend nicht in den Sinn …

Was also rät Hartmann?

Zunächst könnte man allgemein etwas für mehr soziale Gerechtigkeit tun. Vermögen sollten nicht mehr so leicht vererbt werden können. Gewerkschaften müssen gestärkt, Studiengebühren komplett abgeschafft werden. Eine weitaus steilere Steuerprogression, vor allem für sehr hohe Einkommen, wäre ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Und natürlich muss deutlich aggressiver gegen Steuerhinterziehung vorgegangen werden, sowohl gegen illegale wie auch legale Methoden. Zudem sollten sich viel mehr Politiker aus der Arbeiterklasse rekrutieren und nicht, wie heute üblich, zu mehr als der Hälfte aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung.

In einer derart aufgestellten, gerechteren Gesellschaft würde mit Sicherheit die Politikverdrossenheit sinken und dem Rechtspopulismus wäre zumindest auf ökonomischer Ebene der Nährboden entzogen. Eine Aussicht, die doch letztendlich alle begrüßen sollten, welcher sozialen Schicht er oder sie auch angehören mag.